Tantillus Reborn
Kapitel 3 – XY-Achssystem
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Bei den Wellen für die XY Achse gilt es zu Baubeginn bzw. beim Materialeinkauf eine Entscheidung zu fällen. Die beiden durch die Schrittmotoren getriebenen, 220mm langen Wellen, müssen durchbohrt werden.
Gehärtete Präzisionswellen aus CF53 (1.1213) sind mit einer durchschnittlichen Hobbyausstattung aufgrund ihrer Härte quasi nicht zu durchbohren. Die Wellen haben eine Härte von 62 HRC und lassen sich somit nur mit Bohrern aus Vollhartmetall bearbeiten. Solche Bohrer stellen hohe Ansprüche an die Bohrmaschine und die Aufspannung der Wellen. Frei Hand gebohrt brechen VHM Bohrer garantiert.
Alternativ kann man Wellen aus ungehärtetem 115CrV3 (1.2210), umgangssprachlich „Silberstahl“, nehmen. Dieses Material lässt sich vergleichsweise sehr leicht und ohne große Ansprüche an die Ausstattung bohren.
Bei dem Kauf von „Silberstahl“-Wellen gilt es eine geschliffene und polierte Ausführung zu kaufen. Ideal für die Sinterbronzelager sind Wellen mit Toleranz h6, diese sind allerdings schwerer zu beschaffen und teurer als h9 Wellen. h9 Wellen reichen im Zweifelsfall aber erstmal aus.
Wer die gehärteten Präzisionswellen bohren kann, sollte diese den ungehärteten Wellen vorziehen.
Wer sich nicht sicher und standfest in der Materie ist, sollte unbedingt die Silberstahlausführung wählen.
Die beiden Wellen sind nach folgender Zeichnung zu bohren. Die Löcher müssen unbedingt entgratet werden damit die Schnur nicht beschädigt wird.
Anmerkung:
Wer auf die Idee kommt das Mittelkreuz mit hart anodisierten Aluminium und speziellen Kunststoffgleitlagern eines Kölner Herstellers auszuführen: lass es einfach!
Die Gewichtsersparnis ist zwar enorm, allerdings haben diese Lager VIEL ZU VIEL Spiel, der Tantillus wird am Ende ein schlechtes Druckbild haben und Eier anstatt Kreise drucken. Diese leidvolle Erfahrung mussten wir machen und soll Euch erspart bleiben.
Montage des XY-Achssystems
Zu Beginn muss die Länge der nicht durchbohrten Achsen überprüft werden. Diese sollten im Gehäuse zu den Wandungen ausreichend Platz haben und dürfen auf keinen Fall schleifen. Ansonsten sind die Wellen entsprechend zu kürzen. Die Wellen werden jeweils an einem Ende mit einem Kugellager 608 bündig verklebt, wahlweise mit Loctite (z.B Loctite Fügen Welle Nabe 638) oder mit mittelviskosem Cyanacrylat. Das Wellenende ist vorher entsprechend zu entfetten.
Die Ecken für die Lagerung der durchbohrten Antriebswellen hinten links/rechts müssen ggf. so nachbearbeitet werden, dass sich die Lager nicht zu schwer in den Sitz schieben lassen. Das ist unbedingt vor der Montage zu überprüfen. Auch ist jetzt der richtige Zeitpunkt für den Einbau der Hall-Endstops. Diese werden in die vordere linke Ecke eingeklebt. Die Beinchen werden für die spätere Steckverbindung mit Dupont-Stecker zurechtgebogen.
Die Einheit bestehend aus zwei Wellen/drei Ecken wird in das Gehäuse eingesetzt, die verklebten Lager sitzen in der Aufnahme vorne rechts. Sinterbronzelager nicht vergessen auf die Wellen zu schieben:
Das Verkleben der Lager mit den durchbohrten Wellen kann gut im eingebauten Zustand erfolgen. Die Wellen werden eingeschoben, die Lager an der Antriebsseite in den Sitz gedrückt. Auch diesmal die Bronzelager nicht vergessen. Das Antriebsseitige Lager wird mit der entsprechenden Schraube gesichert und die Wellen so positioniert, dass sie am Loslager, vorne links bzw. hinten links, ca. 1mm Platz zur Wandung haben. An der Antriebsseite werden die Lager dann mit der Welle verklebt.
Nach dem Aushärten werden die Schlitten auf die Welle gefädelt und die Bronzelager seitlich eingedrückt. Auf Leichtgängigkeit der Schlitten achten. Leichtes Klopfen hilft dafür zu sorgen, dass sich die Lager ausrichten.
Antriebsschnüre spannen
Der Tantillus verwendet ein doch recht seltenes Antriebselement. Die Angelschnur. Verwendet werden sollte eine geflochten Angelschnur aus Dyneema oder Spectra mit ca. 0.4 – 0.5 mm Stärke. Die Schnüre haben je nach Hersteller ein Tragkraft von >50kg. Dyneema wird mit <1% Dehnung im Datenblatt spezifiziert, Spectra mit 0%.
Bei beiden Materialien handelt es sich um UHMW-PE, nur von unterschiedlichen Herstellern mit unterschiedlichen Markennamen. Auf die Masse bezogen sind die Materialien 60% stärker als Glasfaser. 5 mal zugfester als Polyamid, Polyester und Polypropylenfasern und bis zu 15 mal zugfester als Stahl. Ziegler und Natta sei Dank, begann vor mehr als einem halben Jahrhundert die Ära der Hochleistungskunststoffe, polymerisiert aus Alpha-Olefinen, letztlich profitiert auch der Tantillus davon.
Das nahezu nicht vorhandene Ghosting im Druckbild ist unter anderem genau diesen technischen Eigenschaften zu verdanken. Mit den üblichen Billigstriemen aus Fernost ist das nicht machbar.
Das wichtigste zu erst. Wer noch nie die Schnüre an einem Tantillus gewickelt und gespannt hat, sollte sich nun die erste Flache Bier nehmen, öffnen und einen guten Schluck trinken. Dann weiter machen.
Wer das erste mal die Schnur spannt sollte sich pro Schnurtrieb ca. die 4,5 fache Kantenlänge des Tantillus Schnur von der Rolle abschneiden.
Mit etwas Übung kommt man mit deutlich weniger Schnur aus.
Anmerkung zur folgenden Anleitung. Bei den unten liegenden Wellen ist die Lager der Schnur gedreht. Oben wird also zu unten und umgekehrt.
Schritt 1 – Hilfswerkzeuge einsetzen
Die Hilfswerkzeuge helfen enorm beim spannen. Sie sorgen auch für ein paralleln Verlauf der Wellen.
Schritt 2 – Schnur durch die Bohrung in der Welle fädeln.
Das kurze Ende ca. 20-25 cm lang lassen.
Schritt 3 – Wicklung 1
Das kurze Ende der Schnur 4 Wicklungen um die Welle in Richtung innen wickeln. Dabei darauf achten das die Schnur unterhalb der Welle, in Richtung Carriage auskommt.
Schritt 4 – Wicklung 2
Das lange Ende der Schnur 4 Wicklungen um die Welle in Richtung aussen wickeln. Dabei darauf achten das die Schnur oberhalb der Welle, in Richtung Carriage auskommt.
Schritt 5 – Wicklung 3
Das lange Ende der Schnur 6-7 mal um die Umlenkwelle wickeln. Darauf achten das die unterhalb der Welle, Richtung Carriage zeigend auskommt.
Schritt 6 – Schlaufe knoten
An das kurze Ende der Schnur eine kurze Schlaufe knoten. Das Ende der Schlaufe sollte ungefähr mit dem Eingang des Schnurkanal im Carriage abschließen.
Schritt 7 – Schnur fädeln
Das lange Ende der Schnur durch das Carriage fädeln.
Schritt 8 – Schnur fädeln
Das lange Ende durch die Schlaufe fädeln.
Schritt 9 – Schnur fädeln
Das lange Ende wieder zurück durch das Carriage fädeln.
Schritt 10 – Schraube vorbereiten
Eine passende Schraube zurechtlegen und mit einer Unterlegscheibe versehen. Bei der Unterlegscheibe auf die Stanzrichtung achten. Die Seite mit dem scharfen Grat muss in Richtung Schraubenkopf zeigen da der Grat sich ansonsten durch die Schnur schneiden kann. (Willkommen bei Schritt 1 und dem nächsten Bier)
Schritt 11 – Schlaufe knoten
An das lange Ende der Schnur eine große Schlaufe knoten.
Schritt 12 – Schraube einsetzen
Die vorbereitet Schraube einsetzen. Darauf achten das sich eine Schnur oberhalb, die andere unterhalb der Schraube befindet.
Schritt 13 – spannen und festziehen
Die Schnur spannen. Dazu einen Schraubendrehergriff etc. durch die große Schlaufe stecken und ziehen. Sobald eine ordentlich Spannung erreicht ist die Schraube fixieren. Überflüssige Schnur am kurzen Schnurende abschneiden.
Schritt 14 – nachspannen
Die Hilfswerkzeuge entfernen und die Achsen von Hand hin und herbewegen. Ohne montierte Zahnriemen fühlt man deutlich mehr als mit montierten Riemen. Bleiben die Riemen montiert bitte nur langsam schieben um die Steppertreiber nicht zu beschädigen (Induktionsspannungen – Dynamo).
Sollte die Schnurspannung durch die Bewegungen gesunken sein, nochmals nachspannen.
Die Schnur längt sich innerhalb der ersten Druckstunden nochmals nach, da sich im Laufe der Zeit ihren Platz sucht. Die Schlaufe am langen Ende sinnvollerweise bis zu diesem Zeitpunkt nicht abschneiden. Evtl. einfach aufwickeln und mit etwas Klebeband am Carriage befestigen.
Antriebsriemen spannen
Die Riemen des Vorgeleges müssen auch gespannt werden. Für aufwändige Spanneinrichtungen ist schlichtweg kein Platz. Daher folgt das Riemen spannen dem KISS-Prinzip.
Seitlich im Gehäuse befinden sich über den Schrittmotoren kleine Langlöcher. Durch diese kann man ein beliebiges Werkzeug, wie z.B. ein 3mm Innensechkantschlüssel stecken und die Motoren nach unten hebeln.
Damit sich die Motoren in ihren Langlochsitzen auch verschieben lassen müssen selbstverständlich vorher die Klemmplatten leicht gelöst werden.
Während des spannens kann man bequem mit der zweiten Hand die Klemmplatten wieder festziehen.
- Kapitel 0 – Vorwort
- Kapitel 1 – Gehäuse
- Kapitel 2 – Z-Achse
- Kapitel 3 – XY-Achssystem
- Kapitel 4 – Heizbett
- Kapitel 5 – Kühlung
- Kapitel 6 – Extruder
- Kapitel 7 – Hotend
- Kapitel 8 – Elektronik
- Kapitel 9 – Filamentabroller
- Kapitel 10 – Silikonteile
- Kapitel 11 – Option: Riementriebabdeckung
- Kapitel 12 – Option: Rasperry Pi Zero
- Kapitel 13 – Option: USV für den Pi
- Kapitel 14 – BOM / Downloads
- Kapitel 15 – FAQ
- Kapitel 16 – Musterdrucke
- Kapitel 17 – Schlusswort
Zitat:
„Die Ecken für die Lagerung der durchbohrten Antriebswellen hinten links/rechts müssen ggf. so nachbearbeitet werden, dass sich die Lager nicht zu schwer in den Sitz schieben lassen. Das ist unbedingt vor der Montage zu überprüfen.“
Hallo Lars,
wie schwer ist „nicht zu schwer“ ?
Ich habe den Sitz mit einem 22er Stufenbohrer nachgearbeitet. Nun lassen sich die Lager eindrücken.
Dafür braucht es aber immer noch eine relativ hohe Kraft.
Muss ich mir noch etwas Anderes einfallen lassen?
Was ist der Hintergrund für die geforderte „Leichtgängigkeit“?
Gruß
Peter
Die langen Wellen werden ja von aussen in die gedruckten Ecken geschoben. In dem Moment ist aber alles weitere schon montiert, wäre also sehr ärgerlich wenn auf einmal die Lager nicht in ihre Sitze passen und alles wieder zerlegt werden muss.
Ich empfehle sowieso grundlegend die Ecken in ihrer späteren Einbaulage zu drucken, nicht liegend. Die Chance ein maßhaltigen Druck zu bekommen ist einfach größer.
Hallo Lars,
danke für die Erklärung.
Wenn ich das Gehäuse bereits aufgebaut hätte, wäre meine Frage sicherlich überflüssig gewesen.
Wie arbeitest denn Du die Lagersitze nach?
Mit „Druck in Einbaulage“ meinst Du auf dem Dreieck stehend drucken?
Gruß
Peter